Somatic Experiencing®

Zu Beginn …

 

Bei vielen Themen, mit denen sich PatientInnen an mich oder andere TherapeutInnen wenden, kann man Ereignisse in der Vorgeschichte ausmachen, die damals sehr plötzlich, nicht kontrollierbar und mit sehr viel Kraft abgelaufen sind und die bis heute nachwirken. Als Therapeutin nenne ich diese langwirkenden Folgen ein Trauma, das wir in meiner Praxis unter anderem mit Hilfe von Somatic Experiencing ® bearbeiten.

 

Was ist Somatic Experiencing?

 

Somatic Experiencing ist ein traumatherapeutisches Basiskonzept, das von Dr. Peter Levine in den 70er Jahren entwickelt und seither ständig erweitert und aktualisiert worden ist.

 

Ich werde im Folgenden beschreiben, wie im SE ® gearbeitet wird, um mit den Folgen traumatischer Ereignisse und Erlebnisse umgehen zu lernen - und sie im besten Fall aufzulösen.

 

Was bedeutet überhaupt “traumatisiert sein”?

 

“Traumatisiert” zu sein bedeutet, dass der betroffene Mensch bzw. sein Körper nicht in der Lage ist, die durch die Wucht des Ereignisses aufgestaute und im Körper festgehaltene Energie wieder abzubauen. Die Orientierungs, Schutz - und Verteidigungsreaktionen, die wilde Tiere  in der Natur haben, können im Fall eines traumatischen Ereignisses beim Menschen nicht so leicht greifen wie bei einem Tier.

 

Mit “wild” meine ich hier “in der wilden Natur lebend” - also Tiger, Puma  oder Löwe genauso wie den Hasen oder das kleine, kluge Opossum. 

 

Wir Menschen haben durch unsere Sozialisation den Zugang zu diesem instinktiven körperlichen Wissen verloren oder genauer gesagt: vergessen oder verlernt. Meistens gehen wir sehr schnell zur Tagesordnung über und tun so, als wäre alles in Ordnung. Dass dem nicht so ist, bemerken wir häufig erst im Lauf der Zeit, oftmals auch erst ein bis zwei Jahre nach dem Ereignis.

 

Was können die Folgen sein?

 

Ängste, depressive Verstimmungen, körperliche Beschwerden, Konzentrationsstörungen oder veränderte Wahrnehmung (erhöhte Schreckhaftigkeit, Überwachheit, Ausblenden von Teilen des Gesichtsfeldes ohne medizinische Ursache)  sind - um nur einige zu nennen - Kennzeichen einer akuten Belastungsreaktion nach einem traumatischen Erlebnis. Wenn die Symptome nach einigen Tagen oder Wochen weiter andauern oder sich sogar noch verstärken, handelt es sich um eine posttraumatische Belastungsstörung - die dann behandelt werden sollte.

 

In diesem Fall befindet sich der Mensch innerlich dauerhaft im “dort und damals” und erlebt sich selbst nicht mehr als “im Augenblick präsent”. Er fühlt sich getrennt, abgeschnitten von sich selbst, von anderen Menschen und meist auch abgetrennt von der Verbindung zu etwas Größerem, Umfassenderen, ob man es nun Gott, eine allumfassende positive Kraft oder Buddha nennt.

 

Der oder die Betreffende bleibt gleichsam in der damaligen traumatischen Situation stecken. Die extrem hohe Energie, die der Körper mobilisiert hat, um sich zu wehren oder zu fliehen, hält den Körper in einer Art dauerhaftem Alarmzustand.

Dies verursacht, wenn es länger andauert, vielfältige Beschwerden.

 

Wie läuft die Behandlung mit Somatic Experiencing ab?

 

Sicherheit finden:

 

Zunächst ist es grundlegend wichtig, in der Therapie für Sicherheit zu sorgen. Dies geschieht, in dem der Patient sich zunächst ganz allgemein der in ihm vorhandenen Ressourcen und Potentiale vergewissert. In meiner Praxis beziehe ich dabei oft künstlerische Materialien  wie Tonerde, Farbe oder Zeichenmaterialien mit ein. Wenn für jemanden beispielsweise eine ganz bestimmten Bezugsperson sehr wichtig ist, versuche ich, alles, was mit diesem Menschen zu tun hat, lebendig werden und dann etwas dazu gestalten zu lassen (eine kleine Tonplastik, eine Zeichnung, ein Bild).

 

Wichtig ist auch das Ankommen im eigenen Körper - zunächst, indem wir herausfinden, wo im Körper es sich angenehm(er) und sicher(er) anfühlt. Übungen, die helfen, sich zu zu erden (Grounding), das Beobachten des eigenen Atemrhythmus, es gibt viele Wege, mehr bei sich anzukommen.

Vielleicht beginnen wir zunächst damit, wahrzunehmen wie sich der Stuhl anfühlt, auf dem Sie gerade sitzen. An welchen Stellen spüre ich, dass der Stuhl mich zuverlässig und sicher trägt? 

Den Boden unter den Füßen spüren und den Raum um mich - und wissen, dass beide immer da sind: Die Erde unter den Füßen und der Himmel über uns. Sie sind da, was auch immer geschieht. 

Letztendlich geht es darum, zu lernen, sich selbst wieder besser regulieren zu können.

 

Orientieren

 

Wir üben das Orientiert-Sein im Innen (Gedanken, Körperempfindungen, Bilder etc.) und im Außen (Hat sich etwas im Therapieraum verändert, wo ist die Tür, wo gehts nach draußen, wo möchte ich heute sitzen etc.).

 

Den inneren Beobachter entwickeln

 

Wir entwickeln einen guten inneren Beobachter - das ist die Instanz in uns selbst, die spürt und sieht, was gerade los ist, bewusst wahrnimmt und beobachtet.

Diese Instanz gibt uns die Möglichkeit, z.B. bewusst Abstand zu nehmen, wenn es mal wieder in uns zu turbulent wird und wir drohen, in den Sog der Ereignisse hineingezogen zu werden.

 

Auf dieser guten Basis

 

Wenn wir uns dann nach einer gewissen Zeit des Sicherheit-Schaffens” in Richtung des traumatischen Ereignisses begeben, tun wir das, indem wir zunächst nach all dem suchen, was an dem Tag gut war. Das können Geschehnisse sein, die vor dem belastenden Ereignis stattgefunden haben und positiv besetzt sind (“ich weiß noch genau, es war eine strahlende Frühlingstag und ich war schon eine Stunde im Wald joggen gewesen.”) oder auch etwas, das nach dem Ereignis Sicherheit gegeben hat (z.B. eine Person, die nach einem Unfall beim Verletzten geblieben ist, beruhigend mit ihm/ihr gesprochen und dafür gesorgt hat, dass Hilfe kommt.)

 

…Neuverhandeln

 

In der Arbeit mit Somatic Experiencing ® arbeiten wir daran, dass die ursprünglich intendierten Reaktion n(z.B. sich zur Gefahr hin orientieren, sich verteidigen, Flucht, Kampf) wieder durch Nachspüren der Körperempfindungen aufgespürt und nun in der sicheren therapeutischen Situation zu Ende gebracht werden können.

Im Lauf der Zeit ist es dann - immer mit der nötigen sicherheit als Grundlage - z.B. möglich, zwischen dem Körpergefühl, das die sichere Situation ausgelöst und dem Körpergefühl, das die Vorstellung eines bestimmten Zeitpunkts des traumatischen Ereignisses auslöst, hin- und herzugehen. Imme in dem Wissen, dass es jederzeit möglich ist,m wieder zu dem Teil des Körpers zu gehen, in dem die Sicherheit spürbar ist.

 

Es handelt sich dabei um Reaktionen und Impulse, die vom Nervensystem ausgehen. Der Körper weiß genau, was er hätte tun sollen in der Situation. Diesen Prozeß des Nachspürens “Was sollte ich/mein Körper damals in der Situation eigentlich tun?” und Vollendens der damals unvollendeten Impulse des Nervensystems nennen wir “Neuverhandlung”.

 

In die eigene Kraft kommen

 

Im Lauf der Zeit zunehmend in die eigene Kraft kommen, Wahlmöglichkeiten gewinnen und sich immer besser selbst beruhigen und regulieren zu können - diesen Gewinn an Einfluss nennt Peter Levine “Empowerment”.

 

Was ist meine Aufgabe beim SE?

 

Als Therapeutin sorge ich dafür, dass sich der gesamte Prozess so langsam vollzieht, dass nicht zu viel Energie auf einmal frei wird.

Die Geschwindigkeit orientiert sich an dem, wieviel der/die Patient/in sortieren, einordnen und integrieren kann. Im Lauf der Zeit kann dann wieder ein Gefühl der inneren Ordnung entstehen. Dies nennen wir

Re-Organisation. In diesem Fall entsteht ein Geühl von Beweglichkeit, Veränderbarkeit und Weite. Oftmals empfinden die PatientInnen dann Erleichterung und Entspannung.

Der Körper ist wieder differenzierter wahrnehmbar, Emotionen sind spürbar aber nicht mehr überwältigend, alles ist wieder an seinem Platz. Das Bild ist klar.

 

Heilen und Wachsen

 

In manchen Heilungsprozessen entwickelt sich ein tiefes Verständnis dafür, was geschehen ist und was es im Gesamtzusammenhang des eigenen Lebens bedeutet. Es geht um den Sinn dieser extrem tiefen Erfahrung und was sie in uns für immer verändert hat.